Gefährdungsbeurteilung, Barrierefreiheit und Inklusion Arbeitsschutz für Mitarbeiter mit Behinderung
Wenn Mitarbeiter eine Behinderung haben, zählen sie zu den Beschäftigungsgruppen, die besonders schützenswert sind. Doch wie sieht eine behindertengerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes aus? Auf diese und andere wichtige Fragen erhältst du bei uns eine Antwort.
- 02.08.2021
- Katharina Bonn
Chancengleichheit ist ein wichtiges Thema, und das nicht erst mit Beginn der beruflichen Laufbahn. Der Artikel 3 des Grundgesetzes besagt, dass Menschen mit einer Behinderung keine Benachteiligung erfahren dürfen – im Arbeitsleben bezieht sich das beispielsweise auf den Bewerbungsprozess, die Arbeit selbst oder auch eine Kündigung. Als Arbeitgeber ist es für dich wichtig zu wissen, was Inklusion und Barrierefreiheit beinhalten und was es noch zu beachten gilt, damit Mitarbeiter mit einer Behinderung bei der Arbeit geschützt werden. Bevor wir diese Fragen klären, gilt es aber erst einmal, den Begriff Behinderung zu klären.
Das erfährst du in diesem Beitrag:
Wie wird eine Behinderung definiert?
Das Sozialgesetzbuch (SGB IX) definiert mit § 2, Satz 1 eine Behinderung als eine körperliche-, geistige-, seelische- oder Sinnesbeeinträchtigung, die über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahr hinausgeht. Als weiterer Faktor werden umweltbedingte Barrieren genannt. Auch das Alter sowie die Umstände sind entscheidend: Zum Beispiel hat ein kleines Kind, das noch nicht läuft, keine Behinderung. Vielmehr geht es um Einschränkungen, die für das Alter eines Menschen ungewöhnlich sind.
Auch der Grad der Behinderung spielt für die Definition eine Rolle. Für die Einteilung werden Zehnerschritte einer Hunderter-Skala genutzt. Von einer Behinderung spricht man, wenn ein Wert beziehungsweise Grad von 20 besteht; laut dem § 2 Absatz 2 des Sozialgesetzbuches IX liegt eine Schwerbehinderung bei einem Wert von 50 % vor. Um eine Beurteilung des Behinderungsgrades vorzunehmen, bedarf es der Untersuchung eines Arztes. Was uns direkt zu der nächsten Frage führt.
Wie viele Menschen in Deutschland leben mit einer Schwerbehinderung?
Für die Beantwortung dieser Frage ziehen wir Erhebungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) aus dem Jahre 2019 zurate. Ende 2019 haben in Deutschland etwa 7,9 Mio. Menschen mit einer Schwerbehinderung gelebt. Diese Zahl weist einen Anstieg schwerbehinderter Menschen um 1,8 % im Vergleich zu Ende 2017 auf. Insgesamt waren zu jenem Zeitpunkt 9,5 % der Menschen in Deutschland schwerbehindert. Circa ein Viertel von ihnen (23 %) hatte einen Behinderungsgrad von 100 und 33 % einen Grad von 50. Eine schwere Behinderung muss dabei nicht immer auf den ersten Blick für Außenstehende ersichtlich sein. Eine schwere Form der Migräne oder Diabetes können beispielsweise ebenfalls dazu führen, dass ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt wird. Gleiches gilt für Krebs- und viele weitere Erkrankungen.
Gibt es eine Beschäftigtenquote für Menschen mit Behinderung?
Egal, ob du ein öffentlich-rechtlicher oder ein privater Arbeitgeber bist: Wenn du 20 Mitarbeiter oder mehr beschäftigst, bist du dazu verpflichtet, 5 % der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Arbeitnehmern zu besetzen. Dies ist im Sozialgesetzbuch festgehalten (§ 154 Absatz 1 SGB IX). Wenn eine Arbeitsstätte aus mehreren Filialen besteht, in denen insgesamt 20 oder mehr Arbeitsplätze bestehen, gilt die Beschäftigungspflicht ebenfalls. Diese Pflicht bezieht sich übrigens nicht nur auf Menschen mit einer Schwerbehinderung, sondern auch für sogenannte Gleichgestellte (§ 2 Absatz 3 SGB IX). Diese haben mindestens einen Grad der Behinderung von 30 %, jedoch weniger als 50 %. Wenn du die Pflichtquote erfüllt hast, bist du trotzdem in der Pflicht zu überprüfen, ob es freie Arbeitsstellen gibt, die durch Mitarbeiter mit einer Behinderung ausgeführt werden können.
Laut dem Statistischen Bundesamt ist es für Menschen mit einer Behinderung extrem schwierig, Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. Im Jahr 2019 hatten 57 % der 15 bis 64-jährigen Menschen mit einer Behinderung eine Arbeitsstelle oder waren auf der Suche danach. Der Vergleich mit derselben Altersgruppe von Menschen ohne Behinderung zeigt, dass ihre Erwerbsquote bei 82 % lag. Die gute Nachricht ist: Immerhin ist der Prozentsatz der Arbeitnehmer mit Behinderung verglichen mit den Erhebungen aus 2009 um 5 % gestiegen.
Inklusion – was ist das und warum ist sie wichtig?
Bevor wir uns der Frage widmen, wie Menschen mit Behinderung sicher am Arbeitsplatz integriert werden können, ist es erst einmal wichtig, den Begriff der Inklusion näher zu beleuchten. Das Wort Inklusion bedeutet laut Duden, dass eine gleichberechtigte Teilhabe an etwas besteht, auch als “Mit-einbezogen-Sein” wird Inklusion definiert. In der Praxis bedeutet dies, dass Menschen unabhängig von ihrer Sprache, ihrem Aussehen oder eben einer Behinderung in die Gesellschaft und Gemeinschaft miteinbezogen werden. Für junge Menschen mit und ohne Behinderung kann das zum Beispiel bedeuten, dass sie gemeinsam in eine Schulklasse gehen und lernen. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention wurde vertraglich festgehalten, dass jeder Mensch das Recht hat, ein Teil der Gesellschaft zu sein. Deutschland ist eines der Länder, die den Vertrag unterschrieben haben.
Was bedeutet Inklusion am Arbeitsplatz?
Auch auf den Arbeitsplatz bezogen bedeutet Inklusion, dass Mitarbeiter aufgrund einer Behinderung nicht benachteiligt werden dürfen. Dies zu verhindern sowie passende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, gehört zu deinen Pflichten als Arbeitgeber. Dazu später mehr. Damit Inklusion erfolgreich gelingen kann, kommen jedoch noch mehr Betriebszugehörige ins Spiel als nur du als Arbeitgeber. Auch die Belegschaft in deinem Unternehmen sollte sich in der Verantwortung sehen, Inklusion zu leben und somit einen wichtigen Teil beizusteuern. Von Inklusion im Unternehmen profitieren alle: Zu einem wirst du als Arbeitgeber für den Arbeitsmarkt attraktiver und zum anderen bringen die Beschäftigten mit Behinderungen neue Perspektiven ins Unternehmen ein, von denen die gesamte Belegschaft positiv profitieren kann.
Welche Rolle spielt der Betriebsrat bei der Inklusion?
Der Betriebsrat hat die Aufgabe, am Arbeits- und Gesundheitsschutz in einem Unternehmen mitzuwirken. Außerdem gehört zu seiner Aufgabe, die persönliche Entfaltung sowie die Selbstständigkeit eines jeden Beschäftigten zu unterstützen. Dazu gehört auch, das Thema Inklusion am Arbeitsplatz voranzubringen und zu verhindern, dass Mitarbeiter mit Behinderung ausgegrenzt werden. All dies fällt jedoch nicht nur in den Aufgabenbereich des Betriebsrates, sondern auch in den des Personalrates und der Mitarbeitervertretung. Sofern es erforderlich ist, müssen der Personal- und Betriebsrat sowie die Mitarbeitervertretung dafür sorgen, dass eine Schwerbehindertenvertretung gewählt wird.
Wann braucht es eine Schwerbehindertenvertretung?
Eine Schwerbehindertenvertretung ist dann erforderlich, wenn in deinem Unternehmen fünf gleichgestellte oder schwerbehinderte Mitarbeiter auf Dauer tätig sind (siehe § 94 SGB IX). Diese Vertretung wird von einem Mitglied sowie einer Vertrauensperson gebildet.
Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung sind die folgenden:
- die Vertretung der Interessen von gleichgestellten und schwerbehinderten Mitarbeitern,
- die Eingliederung in den Betrieb zu unterstützen
- sowie die Zusammenarbeit mit dem Personal- und Betriebsrat und der Mitarbeitervertretung, dir als Arbeitgeber und dem Inklusionsbeauftragten.
Die Schwerbehindertenvertretung ist dazu berechtigt, an Sitzungen der Räte sowie der Mitarbeitervertretung teilzunehmen, dabei eine beratende Rolle einzunehmen sowie bei den Aspekten für die Tagesordnung mitzuwirken. Ebenfalls kann die Schwerbehindertenvertretung an den Sitzungen des Arbeitsschutzausschuss (ASA) teilnehmen. Auch bei der Integrationsvereinbarung spielt die Vertretung eine relevante Rolle.
Worum handelt es sich bei der Inklusionsvereinbarung?
Die Inklusionsvereinbarung wird seit dem 01. Januar 2018 in §166 SGB IX geregelt, doch auch davor abgeschlossene Vereinbarungen gelten weiterhin. Die Vereinbarung beinhaltet konkrete Ziele, die für die Inklusion von Mitarbeitern mit einer Behinderung entschieden werden und gleichzeitig den Gegebenheiten in einem Unternehmen entsprechen. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber, dem Personal- und Betriebsrat, der Mitarbeiter- sowie Schwerbehindertenvertretung und dem Inklusionsbeauftragten. Die fertige Vereinbarung wird im nächsten Schritt an die Agentur für Arbeit sowie das Integrationsamt geschickt. Vor diesem Hintergrund möchten wir uns mit folgender nächster Frage beschäftigen.
Nachfolgend stellen wir dir einen Leitfaden für eine gelungene Inklusionsvereinbarung in Form einer Checkliste zur Verfügung:
Checkliste für Arbeitgeber Leitfaden für die Inklusionsvereinbarung
Was ist ein behindertengerechter Arbeitsplatz?
Arbeitgeber sind in der Pflicht für einen effektiven Arbeitsschutz ihrer Mitarbeiter zu sorgen. Während beispielsweise die Arbeitsstättenverordnung für alle Mitarbeiter gilt, gibt das SGB IX auch in Bezug auf die Arbeitsplatzgestaltung vor, was es bei Mitarbeitern mit einer Behinderung zu beachten gilt:
- Aus der Arbeitsumgebung darf weder eine Unter- noch eine Überforderung folgern; vielmehr muss der Arbeitsplatz so gestaltet sein, dass es für den Mitarbeiter möglich ist, die vereinbarte Leistung zu erbringen.
- Eine Beeinträchtigung durch bestimmte Möbel oder Geräte muss verhindert werden.
- Barrieren am Arbeitsplatz müssen beseitigt werden.
- Der Arbeitsplatz muss an die individuellen Bedürfnisse des Mitarbeiters angepasst werden.
- Damit Letzteres umgesetzt werden kann, muss der entsprechende Mitarbeiter den Arbeitgeber über notwendige Modifikationen des Arbeitsplatzes informieren.
Worauf muss bei der Gefährdungsbeurteilung für behinderte Mitarbeiter geachtet werden?
Die Gefährdungsbeurteilung für einen gelungenen Arbeits- und Gesundheitsschutz deiner Mitarbeiter ist gesetzlich verpflichtend. Bei Mitarbeitern mit einer Behinderung muss in jedem Fall ermessen werden, welche präventiven Maßnahmen ergriffen werden müssen, um einen individuell angepassten Arbeitsschutz gewährleisten zu können. Denn: Eine Hör-, Sprach- oder Sehbehinderung stellt die betroffenen Mitarbeiter vor andere alltägliche Herausforderungen und Risiken im Berufsalltag als Mitarbeiter ohne Behinderung. Bei einer Behinderung, die die Bewegungsabläufe einschränkt, ist eine Prüfung der Barrierefreiheit am Arbeitsplatz ebenfalls relevant.
Gerade weil jede Einschränkung individuell ist und jeder Berufszweig eigene Gegebenheiten aufweist, ist es schwierig, allgemeine Handlungsanweisungen für eine Gefährdungsbeurteilung zu erteilen. Dies hat sich das Integrationsamt beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) zur Aufgabe gemacht und mit ihrem Forschungsprojekt unter dem Namen “Inkludierte Gefährdungsbeurteilung” konkrete Handlungsanweisungen am Beispiel von Höreinschränkungen gegeben. Wenn du Mitarbeiter mit Höreinschränkungen hast, kannst du hier mehr über das Forschungsprojekt lesen.
Die Deutsche Mittelstandsschutz unterstützt dich bei allen Fragen
Uns von der Deutschen Mittelstandsschutz liegen die Themen Arbeitssicherheit und Inklusion am Herzen. Wenn du konkrete Fragen zu dem Arbeitsschutz für behinderte Menschen hast, kontaktiere uns gerne und lass dich individuell beraten.
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